Zentrum Demokratische Kultur
Rechtsextremismus Jugendgewalt Neue Medien


Das Zentrum Demokratische Kultur besteht seit 1997 und ist Bestandteil der Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule Neue Länder e.V.

Das Zentrum Demokratische Kultur ist für die Amadeu Antonio Stiftung - Initiativen für Zivilgesellschaft und Demokratische Kultur -  tätig.

Chausseestraße 29 - 10115 Berlin
Telefon +49 (030) 282 30 79 - Fax +49 (030) 238 43 03
E.mail ZDKBerlin@aol.corn
Bankverbindung über RAA e.V: Dresdner Bank Berlin 0672143600 - BLZ 120 800 00
 

Demokratisches Handeln und Rechtsextremismus in Berlin Hohenschönhausen
Eine Pilotuntersuchunq

Thesen

I.  Zu Gegenstand und Methoden der Untersuchung

Angesichts der weit gefaßten Fragestellung der Arbeit und der gleichzeitigen Begrenzung boten sich Methoden der qualitativen Sozialforschung an. Dieser Ansatz unterscheidet sich von anderen Untersuchungsmethoden wesentlich darin, daß die Annäherung an die soziale Realität mit Hilfe offener Verfahren erfolgt. Qualitative Verfahren zielen auf das Aufdecken von Bezügen, quantitative Verfahren auf das Messen unterschiedlicher Ausprägungen schon bekannter Bezüge. Für diese Untersuchung bedeutete es, daß verallgemeinernde Aussagen theoretisch und nicht mit den Argumenten der Statistik begründet wurden. Eingesetzt wurden folgende Methoden:

• Gruppendiskussionen

• Beobachtungen

• Textanalysen

• Leitfaden orientierte Interviews mit Textaufarbeitung, qualitativer Inhaltsanalyse und
   hermeneutisch-analytischer Interpretation

II. Schwerpunkte der Situation

Demokratische Akteure - Wahrnehmungen, Begriffe - Handeln

Es ist festzustellen, daß die demokratischen Akteure in einem hohen Maße rechtsextreme Tendenzen allgemein ablehnen. Auf der unmittelbaren Handlungsebene ergeben sich jedoch Probleme, die sich in den Bereichen Wahrnehmungen, Deutungen und im Bereich planvolles Handeln festmachen.

Es ist im demokratischen Raum eine erhebliche Unsicherheit in der Wahrnehmung, Deutung und in der begrifflichen Bestimmung des Rechtsextremismus festzustellen. Das rechtlich fundierte Definitionsangebot ist selten bekannt, wenig differenziert erörtert und wird von daher kaum genutzt. Wissenschaftliche Deutungen, die die politisch rechtlichen Optionen des Staates erweitern oder ergänzen sind fast völlig unbekannt. Das führt dazu, daß das im demokratischen Raum zum einen eine allgemeine Unsicherheit in der Frage demokratischer Initiative gegen rechtsextreme Tendenzen und Bestrebungen besteht und zum anderen unklare Deutungen rechtsextremer Tendenzen bestehen. Dies führt zu Verzerrungen in der Betrachtung des Problemfeldes, weil zum einen tatsächliche Bestrebungen des politischen Rechtsextremismus nicht hinreichend genau erkannt werden und umgedreht rechtsextreme Anschauungen und Sichtweiten in sozialen Gesinnungen, Milieus, Szenen ebenfalls nicht hinreichend ernst genommen werden. Es hat sich eine landläufige etikettierende und damit bewertende Extremismusskala herausgebildet, die auch in den letzten Jahren durch Medienberichte gefördert wurde, die aber nichts mit den Realitäten zu tun hat.

Rechtsextreme Tendenzen

Es kann festgestellt werden, daß in Berlin - Hohenschönhausen fast alle Erscheinungsformen des gegenwärtigen Rechtsextremismus anzutreffen sind. Die Probleme verbinden sich gegenwärtig weniger mit dem direkt politischen Rechtsextremismus und der direkten rechtsextremen Gewalt sondern zeigen sich in Gestalt von Einstellungen, Milieus und Szenen, in Gestalt eines rechtsextrem - orientierten sozial - kulturellen Lebens - und Handlungsfeldes, was permanente Bedrohung mit Gewalt und Mobbing Andersdenkender einschließt. Rechtsextreme und völkische Orientierungen waren in den Interviews in allen Altersgruppen anzutreffen. Eine quantitative Aussage kann angesichts des Untersuchungsansatzes nicht vorgenommen werden.

Politischer Rechtsextremismus - rechtsextreme Organisationen

Hohenschönhausen ist, aus der Sicht der gesamten Hauptstadt Berlin betrachtet, momentan kein Schwerpunkt der Organisation und Aktivität unmittelbar politischer rechtsextremer Organisationen (Parteien und Vereine). Der Zusammenschluß mit dem Bezirk Lichtenberg kann das ändern.

Festgestellt wurden während der Untersuchung Aktivitäten von zumindest zwei "Unabhängigen Kameradschafteno, die allerdings nicht offen auftreten. Sichtbar ist die Existenz der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) - Kreisverband Hohenschönhausen, Lichtenberg, Friedrichshain, von deren Mitglieder eine kleine Anzahl in Hohenschönhausen wohnt. Es bestehen einige Trefforte und Anlaufpunkte im Bezirk. Es gibt Kontakte aus dem Bereich der Deutschen Volksunion (DVU) in den soziokulturellen Bereich rechtsextremer Orientierung und Gesinnungen.

Rechtsextreme, ausländerfeindliche Gewalt

Die statistisch gemessene rechtsextreme Gewalt bis 1998 war bezogen auf Berlin insgesamt im Vergleich gering. Die Zahlen für das Jahr 2000 liegen nach nicht vor, dürften jedoch nicht aus dem Trend geraten. Jedoch kann die künftige Entwicklung nicht abgeschätzt werden, auch vor dem Hintergrund der unklaren Entwicklungen in der gesamten rechtsextremen Szene und ihres Nachwuchses. Rechtsextreme Gewaltstraftaten können jederzeit begangen werden. Ein Problem ist das tatsächliche und das statistisch bedingte Dunkelfeld bezüglich rechtsextremer Straftaten, daß gegenwärtig nicht genau bestimmt werden kann. Es gibt Aussagen Betroffener, daß das Erstatten von Anzeigen wenig sinnvoll ist. Hohenschönhausen war und ist ein brisanter Ort für rechtsextreme Demonstrativtaten.

Rechtsextreme Skinheads - Hooligans

Rechtsextreme Skinheads sind im Bezirk eine relevante Größe, wenngleich die genaue Anzahl nicht bekannt ist, zumal sich diese Szene in räumlich - kommunikativen größeren Zusammenhängen bewegt. Die Skinheads nutzen mindestens 5 Anlaufpunkte im gastronomischen Bereich. Zu beachten sind zeitweilige Skinheadzusammenkünfte an Erholungsorten wie dem Orankesee. Verbindungen zur rechtsextremen Struktur Blood & Honour und Hammerskinhead sind evident.

Die Problematik der rechtsextremen Hooligans in Verbindung zu anderen Rechtsextremisten konzentriert sich auf Anlaufpunkte und den Fanbereich des BFC - Dynamo. Zu beachten ist dabei die unklare Haltung des Vereins und seine Verortung im Bezirk und der geistige Rückschluß auf den Verein Erich Mielkes. Festgestellt wurde, daß einige führende Hooligans, die schon im rechtsextremen Spektrum der DDR verortet waren, in diesem Bereich als "Paten" aktiv sind. Relevant ist auch das Internetgeschehen und eine spezielle Kameradschaft in diesem Feld.

Rechtsextreme Orientierungen und Soziokultur

Der zentrale Schwerpunkt aus aktueller und künftiger Sicht sind die Einstellungs - und Kulturpotentiale die sich in jugendlichen Milieus und so auch in Schulen und Freizeiteinrichtungen entfalten, die von rechtsextremen ideologischen Texturen geprägt werden und die in Ideen und Handlungsweisen münden, die mit der Formel rechts und ausländerfeindlich umrissen werden und deren Verbindung zum politischen Rechtsextremismus zumindest in geistiger Hinsicht als normal voraus gesetzt ist. Das Problem besteht darin, daß mancherorts diese Orientierungen als normal und nachvollziehbar angesehen werden und das häufig verbunden mit dem Thema Ordnung und Sauberkeit. Klar feststellbar ist die Distribution und Konsumtion rechtsextremer Musikproduktionen.

Die Sphäre der Jugendfreizeiteinrichtungen ist ein soziokultureller Raum, in der sich rechtsextreme Orientierungen entwickeln und fixieren. In den frequentierten Jugendfreizeiteinrichtungen war in der Hälfte der Einrichtungen die Jugendlichen teilweise bis mehrheitlich rechtsextrem - orientiert, was sich nicht in jedem Fall in den sozialpädagogischen Konzepten niederzuschlagen scheint.

Ausländerfeindliche, rassistische und gegen "Undeutsches" gerichtete Stimmungen

Es gilt, wie aus vielen Interviews hervorgeht, in allen Altersgruppen und Milieus allgemein als legitim und normal, Ausländer in ihrem Dasein in Deutschland direkt oder verschämt abzulehnen. Zentrale Argumentationsfiguren werden sichtbar, die im Bereich Beschäftigung, Kultur und Lebensweise sowie Kriminalität liegen und auch die Formel der "Überfremdung" beinhaltet. Die Frage universeller Menschenrechte wurde in fast keinem Interview als Kriterium für das Denken und Handeln sichtbar. Es wird ein Klima sichtbar, in dem sich Migranten nicht direkt wohl fühlen, Mobbing zum Alltagserlebnis geworden ist und Abgrenzung und Ausgrenzung besteht. Das betrifft sicherlich nicht alle Lebenssituationen, ist jedoch evident.

Stimmungslagen, die zu massiven Handlungen gegen Ausländer in naher Zukunft führen könnten, wurden nicht festgestellt, wohl aber der Griff auf einen Begriff des Deutschen, der vielen als grundsätzlich scheint: Geborgenheit, Kultur, Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit, der durch Migranten oder andere Personen nicht beschädigt werden darf. Diese Melange von Werten und Annahmen, kann losgelöst von den Prinzipien der grundgesetzlich gesetzten Menschenrechte schnell in völkische Optionen umschlagen und tut es bereits. In diesen Kontext gehören nicht nur Migranten, sondern auch sogenannte "Undeutsche" zumeist Jugendliche, die als "Zecken" in Form eines soziologischen Rassismus stigmatisiert, negativen Bewertungen, Ausgrenzungen, Mobbings und auch Gewalttaten ausgesetzt sind. Diese Vorgänge laufen eher unspektakulär, was durchaus als Problem erscheint.

Im Unterschied zu anderswo gibt es kaum dramatisch öffentliche Ausfälle gegen die beschriebenen und spezielle Gruppierungen, wenn man von der Diskussion über die Ansiedlung von Menschen absieht, die als "Wagenburgler" oder "Rollheimer" etikettiert wurden und die in einem Niveau geführt wurde, daß- nicht immer als qualifiziert gelten kann.

Es gibt eine Tendenz zur Formierung von ethnisch geschlossenen Gruppen, als Behauptungs - und Durchsetzungstrukturen, was auch Auseinandersetzungen bedingt und den ethnischen Konflikte zur Alltagswirklichkeit und damit zu einer Erfahrung bringt. In diesen Kontext gehören auch Definitionen von "Aussiedlern".

Es zeigen sich Entwicklungen "no go/life areas", die eine neue Form von Migration bedingt, die durch den allgegenwärtigen Druck, der vorwiegend von sich "rechts-deutsch" definierender Jugendlicher ausgeht.

III. Schwerpunkte demokratischen Handelns im Bereich Politik und Verwaltung

Politische Interaktionen

Engagement für Demokratie ist zugleich Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen. Den Schwerpunkt bildet dabei die Entwicklung der demokratischen Zivilgesellschaft, in Gestalt von demokratischen und pluralistischen Organisationen und Initiativen der Bürger, die neben der repräsentativen Demokratie gleichrangig zu verstehen sind. Das heißt auch besondere politische und materielle Förderung derartiger Initiativen durch Politik und Verwaltung. Von daher empfiehlt es sich, diese Fragestellungen nachhaltig und beständig auf die politische Agenda im Bezirk zu setzen.

Es ist sinnvoll, einen pluralistischen verfassungskonformen "Verbund für Demokratie" von zivilgesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren in Entwicklung des "Bündnisses gegen Rechts" anzustreben, der sich beständig mit der Situation im Bezirk beschäftigt, Fragen der Sicherung demokratischer und menschenrechtlicher Eckwerte behandelt und Empfehlungen für verschiedene gesellschaftliche Tätigkeitsfelder ausspricht.

Dazu bedarf es einer Koordination im Bezirk in Gestalt eines vom Staat unabhängigen Akteurs, der hinreichend finanziell und logistisch ausgestattet ist. Wünschenswert wäre eine Angliederung dieser Funktion an die neu zu schaffenden Bürgerämter. Der Akteur selber sollte von Seiten des Bezirks akzeptiert und gehört werden, aber dennoch von ihm getrennt arbeiten können. Zur Funktion des Akteurs gehört auch die Information und Dokumentation von und zu rechtsextremen Aktivitäten, sowie die Initiative zu Bürgerveranstaltungen zu Fragen der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus.

Innerhalb des Bezirksamtes sollte ein Zyklus von Fortbildungen zu kommunalem staatlichen Handeln in der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen entwickelt werden, der sowohl die Erweiterung von Kenntnissen als auch die Erfordernisse und Möglichkeiten einschließt.

Jugendarbeit

Es bedarf angesichts einer bedeutsamen rechtsextrem-orientierten Jugendkulturlandschaft einer gezielten Evaluation von Projekten der Jugendarbeit, der dort angewandten Konzepte und Schwerpunkte.

Die Jugendhilfeplanung sollte davon ausgehend so weiter geführt werden, daß fachliche Standards aus dem demokratischen Auftrag des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) heraus speziell in Bezug auf Angebote und Nähe und Distanz zu rechtsextrem-orientierten jungen Menschen in allen Einrichtungen gewährleistet werden. Wünschenswert wäre die Durchführung eines zukunftsorientierten Workshops für die in der Jugendarbeit Engagierten, in der Erfahrungen zusammengetragen und gemeinsame Lösungsstrategien erarbeitet werden können. Aus diesem Workshop heraus sollte ein lnitiativkreis gebildet werden, der in Zusammenarbeit mit außerbezirklichen Akteuren neue Ansätze jenseits problematischer Praktiken der Jugendsozialarbeit erarbeitet.

Schule

In Zusammenarbeit mit dem o. g. neu zu schaffenden Akteur sollten in den Schulen Kommunikationsforen analog "Runder Tische" zur Intensivierung der innerschulischen Kommunikation angeregt werden, die Wahrnehmungen zu rechtsextremen Tendenzen abgleichen und Initiativen im Verbund Schüler, Lehrer, Eltern. Schulexterne Kompetenz sollte planvoll genutzt werden. Ein Schwerpunkt ist dabei die schulinterne Fortbildung, für die finanzielle Mittel bereitgestellt und eingefordert werden müssen.

Sport

Die Erkenntnisse über die Fanlandschaft des "BFC Dynamo" sollte Gegenstand von Erörterungen im Bezirk sein. Es scheint seitens des Bezirks erforderlich, auf die Leitung des BFC Dynamo einzuwirken, daß eine öffentliche Distanzierung der Vereinsführung von allen Formen des Rassismus und Rechtsextremismus im Verein und im Umfeld des Vereins erfolgt. Dazu gehört auch das Verbot jeder rechtsextremen Propaganda inklusive des Tragens von Symbolen im Stadion und die Durchsetzung dieser Normen. Sinnvoll erscheint es ein Fanprojekt mit einer Satzung aufzubauen, die vom Standard des Artikel 1 des Grundgesetzes ausgeht.

Migration/Ausländerpolitik

Es scheint sinnvoll, die Diskussion um eine mögliche Dezentralisierung der Unterbringung von Migranten fortzuführen. Eingeschlossen darin ist die Erarbeitung von Standards, die Sicherheit und menschenrechtliche Lebensbedingungen einschließt.